Bei dem in Kiel lebenden Künstler Joachim Rohfleisch beginnt der eigentliche schöpferische Akt seiner analogen Fotografie mit dem konzentrierten Wahrnehmen, das sich stark von einem oberflächlichen Sehen unterscheidet: Fotografieren wird zu einer meditativen Versenkung, zu einem Eintauchen in einen Augenblick der Zeitlosigkeit, in der die inneren Wahrnehmungsstrukturen des Künstlers und die ihn umgebenden Außeneinflüsse miteinander verschmelzen. Joachim Rohfleisch entnimmt seine Motive der alltäglichen Lebenswelt. Es sind die auf den ersten Blick unscheinbaren Abdrücke des Flüchtigen: Die Kratzspur eines Kindes an einer Hauswand, eine rostige Schweißnaht an einem Container oder eine im Sand verrottete Plastikfolie, die seine Aufmerksamkeit erregen und sich durch den abstrahierenden Blick des Künstlers in Farben, Formen und Strukturen auflösen. Joachim Rohfleisch lässt sich stets aufs Neue von den unterschiedlichen Oberflächenstrukturen der Dinge um ihn herum anregen, die in ihren Verwerfungen, Rissen und Einkerbungen ein unerschöpfliches Repertoire für die Phantasie des Betrachters bilden und in ihrem festgehaltenen Bildausschnitt einen ganz eigengesetzlichen Bildcharakter entwickeln. Hier zeigt sich, dass die Wurzeln seiner Kunst nicht in der Fotografie, sondern in der Malerei des 20. Jahrhunderts zu suchen sind, als bei Künstlern wie Max Ernst (1891-1976), Kurt Schwitters (1887-1948) oder Jean Dubuffet (1901-1985) Materialien aus der Alltagswelt wie Papierreste, Gewebestücke, Holz und Sand Eingang in deren Kunstwerke fanden. Joachim Rohfleisch vergrößert nicht etwa Ausschnitte aus einer Gesamtaufnahme, sondern sieht das fertige Bild vor seinem inneren Auge, bevor er auf den Auslöser drückt. Der eigentliche Gestaltungsprozess ereignet sich also direkt am Objekt und ist mit dem Betätigen des Auslösers für den Fotografen abgeschlossen. Joachim Rohfleisch erlebt sich als ein Teil eines übergeordneten Ganzen, untrennbar integriert in kosmische Abläufe. Eine Entsprechung dieser Seinserfahrung findet er im Taoismus und im Zen-Buddhismus.
Dr. Dörte Beier
Kunsthistorikerin